Ich war schon immer ein schwieriger Schüler.

Ich habe bis heute keine Ahnung, wie es kam, dass ich gefühlt die Hälfte meiner Schulzeit draussen vor der Tür verbracht habe. Es verging kaum eine Stunde, in der ich nicht aus der Klasse verbannt worden wäre. Ich sass also da und hatte viel Zeit. Manchmal zählte ich die Turnsäcklein in der Garderobe, merkte mir die Muster des Fussbodens – und da ich mehrmals Wohnort und Schule wechselte, gab es eine Menge, was ich analysieren und mir merken konnte: rote Tonplatten, Terrazzoböden, bei denen man Kiesel und anderes Gestein im Querschnitt sehen konnte, Mosaik-Böden und erste Versuche mit abgeschliffenem Beton. Oder ich ordnete die Schuhe meiner Klassenkameradinnen und -kameraden nach Farben. Dies allerdings nur einmal. Das Chaos, das ich damit anrichtete, war beträchtlich und die Urheberschaft leicht zurückzuverfolgen.

Dass ich so viel Zeit mit mir allein verbrachte, war aber nur ein Aspekt. Ein ganz anderer war, dass ich – während drinnen alle alles haarklein erklärt bekamen – anschliessend 50 % des Schulstoffs nachbüffeln und mir selber beibringen musste. Ich war also schon damals zumindest zur Hälfte Autodidakt. Dass ich zum auf diese Weise Erlernten insgesamt eine andere Haltung hatte, war eine einigermassen logische Folge davon. Warum ist das so? Ist das wirklich so? Ist das der einzige Weg? Was käme heraus, wenn es anders gedacht würde? Denn ich stellte fest, dass wir nicht nur Dreisätze lösen und Schrauben addieren können. So ergaben 23 Gummibärchen 15 Küsse – die ersten acht waren zum Anfüttern. Und wenn ihre Füsse und meine Füsse in derselben Pfütze badeten, ergab das auch irgendwie eine gemeinsame Menge.

Der Schulstoff ganz allgemein warf für mich immer mehr Fragen auf, als er beantwortete. Und all diese Fragen machten mich zu einem noch schwierigeren Schüler, der dazu noch während der Stunde trommelte und schwatzte, witzelte und kritzelte, wenn er nicht gerade die Hand aufstreckte, weil er die Antwort schon wusste, noch bevor der Lehrer überhaupt eine Frage gestellt hatte.
Pädagogen teilen sich seit jeher die Endung mit Demagogen, sie waren schon damals suggestiv unterwegs.
Einzig bei den Rechenwettbewerben konnte ich mich vornehm zurückhalten. Wenn jeweils alle aufstehen mussten und sich erst wieder setzen durften, nachdem sie ihre Banknachbarn im Wettstreit besiegt hatten, blieb ich meist bis zuletzt übrig. Denn ich wusste: Es gibt in jeder Klasse nur ein bis zwei Köpfe, die taten, wofür sie gedacht waren, aber eine Menge Muskeln, die auch wussten, was in der Pause zu tun ist.
Doch es hatte auch Vorteile, immer der Kleinste zu sein. Man wird leicht übersehen und schwer unterschätzt. Wenn mir also beim Fussball ein Zauberpässchen gelang oder ich im Tischtennis-Training immer schon da war, wo der Ball hinsprang, konnte sich niemand diese Leistung erklären und schätzte sie meist umso höher ein.

Doch insgesamt machte mich das wohl zu einem roten Tuch: Ich passte im Unterricht nicht auf, musste vor die Tür und brachte die Leistung dennoch. Ich hatte meinen Kopf auf jener Höhe, auf der es die höchste Konzentration an Ellenbogen gab und kam doch immer wieder durch. Ich war dennoch froh, dass ich die letzten Schuljahre ganz in der Nähe der jeweiligen Schule wohnte. Je kürzer der Weg, umso weniger Gelegenheiten gab es, um mir abzupassen.
Gelernt habe ich daraus, dass Naturgesetze (Er ist so schmächtig. Wie kann er bloss so schnell schwimmen?) nicht unumstösslich und Logik (Er denkt so oft um die Ecke, dass er sich eigentlich verirren müsste) nicht zwingend sind.

Geblieben sind mir zwei Eigenschaften: Das Gelehrigsein und der Au(todidak)tismus. Ich denke noch heute, dass ich kaum etwas gelesen habe. Andererseits muss ich im Gegenteil viel gelesen haben. Sonst wüsste ich ja nicht, was ich weiss. Da ich aber die ausgelesenen Bücher immer weiterverschenkt oder weggeschmissen habe (Müll gehört in den Mülleimer), kann ich meine Leserei heute nicht mehr nachvollziehen, und mein Wissen bleibt mir ein Rätsel, das es in Zweifel zu ziehen gilt. Selbst die Rechtsschreiung. Sonst hätte ich etwas im Leben verpasst.

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4 Gedanken zu „Ich war schon immer ein schwieriger Schüler.“

  1. Hallo Stefan,

    Ich bin nicht so “belesen”. Aber diesen Text habe ich mit viel Schmunzeln reingezogen. Zum Glück gab es damals kaum Pädagogen. Heute würde man “hinderschi & fürschi” abgeklärt, mit Schulpsychologe und dem ganzen Trari-Trara und am Schluss in einer Sonderschule parkiert. Danke für den Bericht.
    Renzo

    1. Lieber Renzo

      danke für deine Zeilen. Und auch dein Interesse an Nebensächlichem. Zu heute/gestern fällt mir alles Mögliche ein. Aber vor allem das: Früher wars ein Abenteuer, heute ein Risiko. 😉 – Liebe Grüsse | Stefan

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