Mentales Photoshopping.

Es ist kompliziert. Von allen Beziehungen ist jene zu mir selbst wohl die komplizierteste. Ich muss gar nicht sonderlich genau hinsehen um zu erkennen, wie komplex diese Geschichte ist. Ich kann meine kleine Geschichte im Schnellvorlauf oder Rückwärtsgang abspulen und an einer beliebigen Stelle anhalten.

Zum Beispiel bei meinem Anblick: Warum sehe ich auf Fotos nie auch nur annähernd so gut aus, wie bei dämmrigem Licht in der Spiegelung eines Schaufensters… oder wenigstens wie im Badezimmerspiegel, wenn ich nicht genau hinsehe? Warum kann ich nicht wenigstens durchschnittlich schön sein, so ganz unauffälig schön, schön normal, so schön wie die anderen?
Und warum bin ich nicht annähernd so gross geworden, dass ich wenigstens dann und wann über anderer Leute Köpfe hinwegsehen könnte. Schon bei der «Aushebung», als mich mit 18 die Armee rief, um mich auf Diensttauglichkeit zu prüfen, wurde ich nicht zum Sporttest, sondern gleich zum Medizincheck geschickt. In jener Gruppe wurden wir der Grösse nach aufgerufen. Ich war natürlich der letzte. Bei jedem legte ein Offizier da und dort das Massband an und brüllte die Messresultate an einen eifrigen Notierer. Als ich an der Reihe war, mass er nur gerade die Höhe. Als er meine Schultern messen wollte, hielt er inne und brüllte im nächsten Moment anstelle eines Masses ein «schmächtig!» durch den Raum.

Gut, ich hatte zuvor alles dafür getan, nicht Dienst tun zu müssen, alle meine sportlichen Aktivitäten – Tennis, Tischtennis, Fussball, Schwimmen und Wasserball – eingestellt, bin aus den Clubs ausgetreten und habe körperlich abgebaut. Mit Erfolg. Aber doch nicht so! Schmächtig.

Zum Beispiel bei meiner Wurzellosigkeit: Wieso zur Hölle dämmerte es mir erst nach 30 Umzügen, dass sich so kaum eine dauerhafte Verbindung aufbauen, kein Anrecht auf Alteingesessensein erwirken liesse? Zwar hat es auch seine Vorteile, ständig irgendwo Neuzuzüger zu sein. Aber man bleibt dennoch immer der Fremde, im Vergleich zu jenen, die miteinander aufgewachen und zusammen zur Schule gegangen sind. Auch das hatte ich mir immer schöngeredet, mental photogeshoppt: Du bist, wer du bist, autonom, ja fast autark! Öhm.

Zum Beispiel bei meiner Ungläubigkeit: Ich könnte ja einfach annehmen, was mir andere vorsetzen, glauben, dass dies so und so zu laufen hat, den News zu trauen, die uns die Welt und was in ihr passiert, erklären. Aber kaum sagt jemand, dass etwas nur auf eine bestimmte Weise getan oder erreicht werden kann, beginnt es in meinem Oberstübchen zu rattern. Wenn ich nur schon eine Behauptung wittere, starte ich mein Widerlegen-Programm. Und dies nicht, um jemanden blosszustellen. Es wird ganz einfach mein Jagdinstinkt geweckt. Und ich will wissen, dass es auch noch anders ginge, dass es nie nur einen Weg gibt. Apropos nur einen Weg:

Zum Beispiel bei meiner Ausbildung: Ich habe kaum eine Gelegenheit verpasst, eine Gelegenheit zu verpassen. Das fing schon in der Schule an. Bei der Aufnahmeprüfung ans Gymnasium erstarrte ich vor dem Aufgabenblatt, krallte mich am Stift fest bis meine Hand bleich und gefühllos wurde. Dann habe ich leer abgegeben. Das zog ich dann immer so weiter. Wenn sich ein praktischer Weg fand, der mich zum vermeintlich selben Ziel führte, wie der theoretische, schulische, dann war klar, wofür ich mich entschied. Mit dem Resultat, dass ich noch heute nur ein einziges Diplom in der Tasche (oder unauffindbar in irgendeiner Schublade) habe. Und mit der Konsequenz, dass ich in einer Papierchenwelt kaum noch weiterkomme. Auch das habe ich mir immer schöngeredet: a) bist du ein Naturtalent! Und b) gibt es Menschen, die ein Auge für Naturtalente haben!

Zum Beispiel bei der Arbeit: Ich habe mir eigentlich immer einen Job, eine Aufgabe ausgesucht, der ich zu Beginn gar nicht gewachsen war, in die ich mich erst hineinwühlen musste. Immer eine Nummer zu gross. Mit dem entsprechenden Druck. Und einer recht komplexen Ausgangslage.
Und heute? Ich wollte endlich etwas einfacheres machen, ins zweite Glied zurücktreten, mithelfen statt anführen. Und was habe ich mir ausgesucht?eine Aufgabe, bei der ich mich zwar «anwaltschaftlich» für ein Anliegen einer breiten Gesellschaftsschicht einsetzen kann, aber dabei ständig aufpassen muss, niemandem auf die Zehen zu treten. Ständig stellt sich die Frage: Anwalt von wem? Und wen braucht es noch, früher oder später, auf den es Rücksicht zu nehmen gilt. Wohl verstanden: Dabei bin ich nur ein kleines Licht, das redlich mehr zu leuchten versucht als die darauf vermerkte Wattzahl. Auch hier dachte ich (und denke wohl noch immer), dass mein Licht jemandem auffallen würde. Aber das ist – einmal mehr – nur schönreden.

Es ist kompliziert. Gerade so, als hätte ich mir alles so zurechtgelegt. Ganz offensichtlich mache ich es mir selber schwer. Vielleicht erarbeite ich mir auf diese Weise Gelegenheiten zu scheitern.
Ich bedauere das nicht. Ich bedauere mich nicht. Ich wundere mich bloss. Und fühle mich ein wenig müde. Und ich stelle fest, dass meine Beziehungen zu anderen nicht besser sein können, solange ich nicht irgendeinen Weg gefunden habe, mit mir oder wenigstens mit einer Version von mir, die der Wirklichkeit sehr nahe kommt, Freundschaft zu schliessen.

Wie auch immer: Heute wundere ich mich, dass ich bei so viel Gegenwind doch schon ziemlich alt geworden bin. Euch alles Gute!

 

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