Präventiv-Schläge.

Ich mag Schläge nicht. Nicht einstecken, nicht austeilen und also schon gar nicht mir selber versetzen. Dennoch bin ich in der absurden Situation, mich alle paar Monate in Dreier-Zyklen einer Imun-Therapie zu unterziehen, die mich a) einen Tag aufs stille Örtchen verbannt und b) einen weiteren Tag ans Bett fesselt. Erst Phantom-Pinkel-Orgie, dann Fieberschübe und Schüttelfrost. Freiwillig. Präventiv. Bin ich irre?

Was mich dazu bewogen hat, ist die errechnete «Tatsache», dass 80 % der an Blasenkrebs Erkrankten, welche diese BCG-Instillationen über sich ergehen liessen, nicht rückfällig wurden. Oder erst sehr viel später (soweit der Zeithorizont von Studie und Statistik diese Weitsicht zulässt).

OK. Ich schüttle ja selbst den Kopf. Denn es ist ja nicht dasselbe, wie wenn ich präventiv Vitamine zu mir nähme oder präventiv viel Sport triebe oder sonst etwas. Nope. Ich nehme fix und in sechsmonatigen Abständen eine Blasenentzündung in Kauf. Garantiert. Mit der Aussicht, dass künftig keine Krebszellen mehr bei mir gefunden werden. Eventuell.
Und kaum habe ich mich von einem Zyklus erholt, folgt schon bald der nächste. Und die Rechnerei (bevor ich das Haus verlasse), ob ich es innerhalb nützlicher Frist ohne Streuverlust auf das nächste Klo schaffe, geht von vorne los.

Natürlich sind die provozierten Nebenwirkungen dieser Imun-Therapie nichts im Vergleich zu einer Chemo. Erstere steigert das Imunsystem, letztere macht es geradezu kaputt. Erstere soll verhindern, dass ich etwas wieder bekomme, letztere soll das Verschwinden der Krebszellen bewirken. Und so wie ich es mitbekommen habe, sind dort Vorgang und anschliessende Beschwerden um ein vielfaches schmerzhafter und einschneidender, als meine kleinen Instillationen. Nichts desto trotz: Ich mache das auf den Verdacht hin, ich könnte rückfällig werden. Errechnet anhand von Statistiken, die sagen, dass die Wahrscheinlichkeit den Anschein hat, wahr zu sein. Verrückt. Irgendwie.

Und ich frage mich, welche Auswirkungen diese Behandlungen auf lange Sicht haben. Programmiere ich mich damit nicht geradezu, wieder irgend ein Gebrechen zu produzieren? Der Stimmung sind sie jedenfalls nicht zuträglich. Jedes Mal ein kleiner Eingriff, jedes Mal die Aufklärung darüber, dass es auch zu Infektionen kommen könne, wenn diese auch äusserst selten seien, jedes Mal der Hinweis, dass ich bei gröberen Reaktionen unverzüglich in die Notaufnahme kommen solle, «aber wir wollen ja nicht den Teufel an die Wand malen …». Vielleicht beschäftige ich mich damit über Gebühr mit der Möglichkeit eines Rückfalls. Als reichten die Gedanken in meinem Kopf nicht schon völlig, erinnert mich nun ständig auch meine reizende Blase, dass etwas passieren könnte. Zwar denke ich das auch, wenn ich eine Strasse überquere. Aber ich habe dabei wenigstens eine optische Kontrolle und kann die Gefahr wirklich einschätzen. Wer kann das schon bei Krebs? So ohne röntgen, palpieren, computertomografieren, spiegeln und all die anderen Angstschweiss treibenden Untersuchungen? Eben.

Auch eine unauffällige Raumforderung wie ich will ernstgenommen werden.

Aber all das ist nichts im Vergleich zum wohlgemeinten Ratschlag, «dass ich Stress vermeiden solle». Wie soll mir das gelingen in meiner derzeitigen Situation? Die Arbeit ist nicht eben leichter geworden. Ständig drängt die Zeit, werden meine Planungen über den Haufen geworfen, werden die Erwartungen höher geschraubt, obwohl alle «Verständnis für meine Situation» haben. Auch werden mehr und mehr meiner Reaktionen und kritischen Äusserungen als Auswirkungen meiner Erkrankung wahrgenommen, statt dass sie ernstgenommen werden. Obwohl ich – aus medizinischer Sicht – eine zur Zeit befundlos unauffällige Raumforderung bin.

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2 Gedanken zu „Präventiv-Schläge.“

  1. Fordern. Raum. Fordern. Die Zeit drängt? Fordern. Raum. Fordern. Die Erwartungen werden höher? Fordern. Raum. Fordern. Die Schrauben angezogen? Fordern. Raum. Fordern. RESSOURCEN ERHALTEN. Fordern. Raum. Fordern. HAMSTERN um des HAMSTERNS WILLEN? Raum. Fordern. Raum. EIN BURZELBAUM IM RAUM. Raum. Fordern. RAUM ff.

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