Ich schicke etwas voraus: JE SUIS klein …
Meine Erfahrung ist zu kurz, mein Hirn zu klein und mein Verstand noch zu wenig geübt, um etwas zu sehen, WIE ES IST. Alles, was ich sehe, ordne ich so ein, dass ich mir einen Reim darauf machen kann. Was ich nicht einordnen kann, filtere ich als INEXISTENT oder PENDENZ aus. Und: Alles, was ich tue, ist OK im Rahmen meiner Möglichkeiten, die Konsequenzen meines Tuns abzuschätzen.
Dieses Bewusstsein und ein – aus meiner Sicht – gesundes Misstrauen führen aber wenigstens dazu, dass ich mir immer wieder Fragen stelle. Gerade dann, wenn mir etwas vehement (oder kaum hinterfragt) als unverrückbare Wahr-, Weis- und Wirklichkeit verkauft wird.
JE SUIS unsicher …
Boko Haram, IS, Charlie, PEGIDA, bringe ich da etwas durcheinander? Oder vermische ich, was nichts miteinander zu tun hat? Die aktuelle Situation erinnert mich an einen anderen Konflikt, der uns IN EUROPA vor Jahrzehnten und über Jahrzehnte in den Medien, aber auch in der Schule als Glaubenskrieg zwischen Protestanten und Katholiken verkauft wurde: Irland.
Gut möglich, dass Varianten A und B des christlichen Glaubens am Ursprung des Konfliktes einander gegenüber standen. Der Eindruck, die Kontrahenten hätten dies aber angesichts der wachsenden persönlichen Blutrachegelüste im Laufe der Zeit vergessen und aus anderen Gründen weitergemacht, ist nicht so einfach vom Tisch zu wischen.
Jedenfalls hat mich dieser Konflikt gelehrt, dass nichts einfach und schon gar nicht so ist, wie es scheint. Und dass es sich durchaus lohnt, der eigenen, bequemlichen Wahrnehmung und den passenden Schilderungen anderer zu misstrauen.
Damit zurück zur aktuellen «Realität»: Ist dies nun ein neuerlicher Glaubenskrieg? Der Anschlag auf Charlie Hebdo wird ja als Angriff auf die Meinungsfreiheit gewertet, nicht auf die christlichen Leitlinien. Es treten Scharen herbei um sich mit den einen zu solidarisieren und von den anderen zu distanzieren. Um ein Zeichen zu setzen. Gleichzeitig nutzen vermeintliche Hüter des Lichts unseres Abendlandes die Gunst der Trauerstunde, um uns zu sagen, warum das alles geschieht, wie dies zu verstehen ist, wer im Recht ist und wie man das künftig verhindern könne. Und da kommt mein Misstrauen lässig pfeiffend um die Ecke und mit ihm unzählige Fragen:
Wessen Realität mag ich?
> Ist dieses Mögen einfach nur bequem?
> Wer hat etwas davon?
> Was wird womit erreicht?
> Was gerät dadurch in den Hintergrund?
> Was ist verhältnismässig?
Und die entscheidende Frage:
> Was habe ich damit zu tun?
JE SUIS responsable …?
Was an meinem Verhalten hat diese Situation beeinflusst? Welche meiner Unterlassungen hat diese Situation begünstigt? Ich habe – hier auf facebook – des öfteren Hohn und Spott über andere gegossen und Hohn und Spott anderer geliked, statt mir eine Lösung einfallen zu lassen. Ich habe mich mit anderen solidarisiert, obwohl ich mit meinem Verhalten möglicherweise selbst zum Problem beigetragen habe.
Nun, als Einzelner bin ich ganz einfach zu unwichtig, zu untätig um eine solche Katastrophe herbeiführen zu können. Aber in der Summe der Unwichtigen, Untätigen, Destruktiven oder gleichgültig Nutzniessenden habe ich durchaus Gewicht. Kann ich mein Gewicht in eine andere Waagschale werfen und damit etwas «Gutes» bewirken? Etwas, das über Betroffenheit und Solidarisierung hinausgeht? Etwas, das ohne jede Anmassung in meinem kleinen Dunstkreis bewirkt werden kann? Hier stehe ich in der Verantwortung. Darum hole ich meine PENDENZEN hervor, versuche diese zu ordnen und Mechanismen hinter den Geschehnissen zu erkennen, die über den Moment und das Detail hinaus gehen, um Strukturen zu erkennen, die es zu durchbrechen gilt. Merkmale dieser Mechanismen sind: Rasanz, Oberlächlichkeit, Zynismus, Delegation und Distanz.
JE SUIS circonspect.
(Veröffentlich auf Facebook am 11. Januar 2015)