Als wären 300 Kultur-Millionen zu viel des Guten

Die Diskussion, welche das neue Kulturpapier der SP Kanton Zürich ausgelöst hat, erstaunt mich als Mitverfasser über die Massen. Bedauerlich ist, dass Politik und Medien lediglich eine Forderung, nämlich jene nach den 2 % oder ca. 300 Mio. Franken des Staatshaushaltes, aufnehmen. Und dumm sind Kommentare wie jener von Kultur-Redaktor Tobler (Tages-Anteiger), der findet, mehr sei nicht unbedingt besser. Hier entblösst sich der kulturelle Tunnelblick in seiner peinlichen Gänze.

Herr Tobler schreibt, er reibe sich erstaunt die Augen, habe doch der Kanton Zürich bereits heute ein gutes Angebot. Das Angebot ist da, zweifellos. Aber die Bedingungen, unter denen es zustande kommt sind oft misslich, die Gagen lausig und die Löhne karg. Zudem entsteht ganz viel gratis, in ehrenamtlicher Arbeit. Sein höhnischer Beitrag hat das Zeug dazu, dass die Ehrenamtlichen noch schneller ausbrennen oder einfach den Bettel hinschmeissen! Dass mehr Geld nicht zwangsläufig zu «besserer» Kultur führen muss, mag sein. Dass Sparmassnahmen über kurz oder lang zu Qualitätseinbussen führen, sieht man aber am Journalismus von heute.

Doch von vorne: Die erste und wichtigste Forderung dieses Papiers (also noch vor jener nach dem doppelten Kulturprozent) will kein Geld, sondern nicht weniger als ein Umdenken, hin zu einer Gleichbehandlung der Kulturausgaben mit Ausgaben für andere Staatsaufgaben. Dass dem heute nicht so ist, illustriert der Satz «Die Grosszügigkeit des bürgerlich dominierten Parlaments hat aber einen Haken …» (Tages-Anzeiger: Doppelt so viel Geld für Kultur). Würde man von Grosszügigkeit sprechen, wenn es um die Sanierungen von Strassen oder dem Gesundheitswesen ginge? Ich habe die gönnerhafte Haltung der Parlamentarier miterlebt, als ich auf der Zuschauertribüne des Kantonsrates der Kultur-Debatte beiwohnte. Grosszügig kann man mit seinem eigenen Geld umgehen. Der Lotteriefonds aber gehört dem Staat, also uns allen. Da müssen gewisse Politiker nicht so tun, als hätten sie persönlich die Spendierhosen an. Einfach widerlich!

Doch zurück zu den 300 Millionen Franken und dem Tunnelblick von Herrn Tobler: Er suggeriert in seinen Zeilen, das zusätzliche Geld flösse denselben Kulturanbietern zu, bloss mehr. Deppert, einfach deppert. Das SP Papier fordert im Folgenden auch den Ausbau des «Kultur-Unterrichts» an den öffentlichen Schulen. Selbstverständlich muss auch dies finanziert werden. Genauso wie die Quartiertreffpunkte, die sich als kulturelle Begegnungsplattformen anbieten. Oder Dorffeste, die nicht kommerziell überborden wollen.

Und selbst wenn die bestehenden Institutionen und Vereine etwas mehr Geld bekämen, wäre dies nur ein Schritt in Richtung «gerechte Entlöhnung» und Kostenwahrheit. Bespielsweise betragen die Löhne, die wir unserer künstlerischen Leitung (die gleichzeitig für alles Operative und Organisatorische zuständig ist) bei Kellertheater Winterthur entrichten, nicht einmal 70 % von dem, was ihrem Arbeitspensum angemessen wäre. Auch bei den Schauspiel-Gagen wäre noch deutlich Luft nach oben. Ausserdem werden Teile der Buchhaltung sowie das Mitgliederwesen zur Gänze ehrenamtlich abgearbeitet.

Zum Thema «Geld für Kultur gleich Wirtschaftsförderung»
Das erlebe ich seit Jahren genau umgekehrt: Grafik-Ateliers und Werbeagenturen, aber auch Web-Programmierer, Video-Schaffende und zum Teil Druckereien «subventionieren» mit ihrer Arbeit gratis oder zum Freundschaftspreis diverse kleinere Institutionen, Companies und Produktionen, einfach so und nebenher. Würde man mal ausrechnen, wieviel Arbeit und Material die Kreativwirtschaft umsonst in die Kultur steckt, käme man wohl auf einen hohen einstelligen Millionenbetrag.

Fazit
Das Kultur- bzw. Kunst-Angebot ist da, keine Frage. Aber die Selbstausbeutung eben auch. Der Spruch «Dafür habt ihr den Spass!» macht nicht satt, nicht die Kunstschaffenden und -vermittelnden und erst recht nicht deren Familien. Er zeigt aber, welche Kurzsichtigkeit und Geringschätzung der Kultur entgegengebracht wird. Und es zeigt, wie der Beitrag der Kultur zur Weiterentwicklung des Individuums und zum gesellschaftlichen Zusammenhalt unterschätzt wird: Gewaltig.

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