Seit 38 Jahren nütze ich unserer Wirtschaft (und selbstverständlich auch meiner eigenen Brieftasche) mit meiner Arbeitskraft. Dieses Jahr ist das nicht so. Im Gegenteil: ich bin ein Ausfall, wenn auch nicht total. Aber es fühlt sich äusserst unangenehm an. Zwar denkt mein Kopf: das ist auch mal ok. Du hast es dir verdient. Mein Herz kann das aber nicht nachfühlen. Es fühlt sich so unnütz wie eine einzelne Socke.
Mein Hirn spielt mir seltsame Streiche. Und produziert bohrende Gedanken. Ich hatte mir für die vergangenen Wochen zwar vorgenommen, hin und wieder bei meiner Arbeitsstelle vorbeizuschauen, auch, um etwas Ablenkung zu haben. Aber ich habe es nicht geschafft. Stattdessen hockte ich zuhause und beschäftigte mich mit mir selbst. Ohne Mitleid. Aber mit einem unguten Gefühl. Dabei sind die Gedanken an meinen Krebs, meine Aussichten auf Genesung und die vergangenen und kommenden Eingriffe nur das eine. Hinzu kommt eben auch die Tatsache, dass ich durch meinen Ausfall meinem Arbeitgeber schade, Krankenkasse und Versicherung auf der Tasche liege und auch meinen Teil zur Hausarbeit kaum auf die Reihe kriege.
Das mag alles dümmlich und unnötig sein. Aber es ist da. Und statt am nächsten Montag nach mehreren Wochen Rekonvaleszenz wieder an die Arbeit zurückzukehren, kehre ich wieder ins UniSpital zurück. Wieder eine Vollnarkose, eine Operation, eine Woche herumliegen, Infusionen beim Tropfen zusehen und beobachten, wie sie rot eingefärbt unten in einen anderen Beutel raus läuft. Wieder Pflegende, Catering und Ärzte bemühen, Tabletten schlucken und möglichst schnell wieder ein Mindestmass an Selbstständigkeit erlangen.
Ja, die Angst, die Geduld meines Umfeldes mehr zu strapazieren, als es verkraften kann oder tragen will, diese Angst ist da. Sie wirft ein Licht auf meine Erziehung, auf meine gesellschaftliche Konditionierung. Auf mein Selbstverständnis. Solange ich der Gesellschaft etwas nütze, kann ich auch ganz egoistisch sein, über die Stränge schlagen, unnütze Dinge tun, mich amüsieren. Aber wehe, wenn nicht. Nie zuvor (mal abgesehen von meiner Kleinkind-Phase) habe ich so viel Unterstützung benötigt. Das ist Neuland für mich. Und ich bemühe mich, auf diesem Neuland möglichst wenig Platz zu beanspruchen.
Jeder regt sich über einen Lift auf, der «ausser Betrieb» ist. Und man muss die Parolen rechtsschaffener Politiker nicht verinnerlicht haben um zu wissen, dass Schmarotzer hier nicht willkommen sind. Nun trage ich dazu bei, dass unser Gesundheitssystem zu teuer ist. Dabei kann das so schnell passieren. Das weiss ich jetzt auch. Und ich weiss auch, dass ich mir deswegen keine Vorwürfe oder gar Sorgen zu machen brauchte. Warum aber mache ich sie mir dann aber trotzdem? Warum kann ich nicht anerkennen, dass ich den Faden verloren habe?
Wie auch immer. Eines habe ich mir vorgenommen: In meinem nächsten Leben werde ich ein rosa Elefäntlein. Das nützt zwar auch nichts. Aber wenigstens trägt es zur Erheiterung der Mitelefanten bei.
Ach Stefan
Ein rosa Elefäntchen mit gelben punkten.
https://youtu.be/ZwJfXgTO7J4
Man darf auch einfach mal „nur“ sein.
Herzliche Grüsse und gute Besserung.
Danke für die Farben 🙂
Lies Martin Suter: Elefant.
Diese Art Gedanken sind sehr sehr traurig. Deine Worte berühren.
Leistungsfähigkeit ist nicht die einzige Art, in der man einer Gesellschaft nutzt, auch wenn wir alle darauf getrimmt werden und wurden…. Krebs ist DIE Zivilisationskrankheit unserer Gesellschaft und mir persönlich helfen deine Gedanken sehr, um gewisse Dinge zu verstehen.
Haben wir nicht alle Betroffene in unserem nächsten Umfeld?
Ich hoffe, es geht dir bald besser. Krebs ist eine tückische und gemeine Krankheit- lass dich nicht brechen. Und danke für dein Tagebuch!
Man sollte es publizieren.
Liebe Nani
Mit deinen Zeilen hast du etwas ausgelöst: http://www.tagebuch.ch/beitraege/leistungsgesellschaft/
Getrimmt ist der richtige Ausdruck. Ganz klar. Und ich setze mich selber unter Druck. Ich weiss. Als wärs nicht schon Druck genug. Mal sehen, wie ich damit umzugehen lerne.
Alles Liebe | Stefan
Lieber Stefan
Hors service ist zum Glück noch lange nicht guichêt fermé. Der Kranke sieht nur die Last, die er aufbürdet, dass aber auch diese Phase für deine unmittelbare Umgebung ein Geschenk ist, sieht man oft nicht. Die Begleitung eines Kranken bringt uns in der Tat an die Grenzen und ab und zu weiter. Sie bringt uns auch an die essentiellen Fragen des Lebens und diese sind das Geschenk, welches du deiner Umgebung gibst.
Keep on hanging in there!
Herzlichst
Sabine
Liebe Sabine,
so habe ich es noch nie betrachtet. Hm. Der Spruch «Krankheit als Chance» macht viel mehr Sinn mit dem Anhängsel «… für andere.» Vorausgesetzt, sie werden damit nicht überfordert.
Deshalb werde ich nun auch psychologische Unterstützung in Anspruch nehmen (noch mehr Kosten, aaaaaaach!). Sicher ist sicher.
Danke für deinen Input, alles Liebe | Stefan