Ausser Kontrolle vor der Kontrolle.

Ende August ist es wieder so weit: Ich muss zur Kontrolle. Verschiedene Untersuchungen stehen an um zu sehen, ob meine verbleibende Niere die Arbeit endlich voll übernommen hat, ob meine Prostata sich allmählich beruhigt und die erforderlichen Blutwerte liefert. Und ob alles schön krebsfrei geblieben ist. Ach. Cool bleiben.

Da helfen metastatische Träume auch nicht besonders. Ich versuche, mir nichts vorzustellen. Phantasiebegabt, wie ich bin. Gerade jetzt, wo ich dann und wann immerhin drei Stunden ununterbrochen schlafen kann. Neulich habe ich einen neuen Rekord aufgestellt: fünf Stunden Schlaf am Stück!
Tagsüber werde ich beispielsweise auf Facebook zu Gruppen von Betroffenen eingeladen. Hm. Ich kann mich nicht damit anfreunden. Ich definiere mich zu wenig über die Krankheit, sehe mich mehr als Kulturbo denn als Therapist. Und wann immer ich mit jemandem auf das Thema zu sprechen komme, fühle ich mich anschliessend keine Unze leichter.

Vor Jahren habe ich mal einen Songtext geschrieben. «Für die Zeit, die mir noch bleibt…» ist eine Zeile daraus. Was weiss denn ich? Was habe ich davor von dem, was passieren würde, auch nur geahnt? Nichts. Und die Auseinandersetzung mit dem Krebs bringt ihn nicht zum Verschwinden. Das waren Messer, scharfe Messer. Mittel, ebenso scharf. Und die Homöopathie, ganz sanft, aber kraftvoll. Was ich tun konnte, habe ich getan und tue es noch: Mich mit anderen Gedanken auf andere Gedanken bringen, mich in die Kultur stürzen und lachen, wann immer es Anlass dazu gibt. Mich mit den richtigen Menschen umgeben. Solche, die mich herausfordern und mich gleichzeitig zu schätzen wissen… da habe ich noch etwas zu verbessern.

Ich fühle mich fit. Fit, wie schon lange nicht mehr. Und fast schon so etwas wie ausgeschlafen. Selbst wenn ich weiss, dass ich wohl für den Rest meines Lebens nicht mehr wirklich ausgeschlafen sein werde. Aber ich will mich nicht beschweren. Wenn ich die Statistik zu Rate ziehe, wird mir wieder bewusst, wieviele Menschen mit Krebs herumlaufen. Manchmal gehe ich durch die Menschenmenge und zähle «eins, zwei, DREI – eins, zwei, DREI…» verrückt. Sie wandeln unter allen anderen. Und man sieht ihnen ihre Diagnose nicht an. Und sie lassen sich auch nicht unterkriegen oder zumindest nichts anmerken.

Was ich aber nicht verstehe: Warum tanzen nicht mehr aus der Reihe? Warum lehnen sich nicht mehr gegen diese unwirtliche Arbeitswelt auf? Warum bestehen nicht mehr darauf, gesehen und geschätzt zu werden? Was haben wir zu verlieren? Was könnten wir dabei gewinnen?

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