Ich weiss nicht, wie es euch geht. Und eine Statistik habe ich auch keine gemacht. Aber ich habe den Eindruck, dass «Alltag» 90 bis 95 % meines Lebens ausmacht. Die paar Wochen Ferien? Geschenkt! Sie sind nichts im Vergleich zum Alltag, in dem ich kleinere und grössere Dinge zu erledigen habe: Arbeit, Haushalt, Steuererklärung, Rechnungen begleichen, Memos schreiben und so weiter.
Weil das so ist und ich meinen Alltag sowieso bewältigen muss, zelebriere ich ihn, wann immer sich dazu eine Gelegenheit bietet. Kochen zum Beispiel. Macht mir Freude. Ein prächtiges Mise en place, dann all die Düfte der Kräuter und Gewürze, eine flüchtige Berührung zwischendurch, die Hände unter dem fliessenden Wasser beim Salatwaschen, der Gesamtduft, der sich in der Wohnung ausbreitet… und immer wieder das kurze Aufblicken zu jenen, für die ich das alles zubereite.
Auf meinem Arbeitsweg begegne ich ich über die Jahre immer wieder denselben Menschen. Mal sind sie gut drauf, mal nicht. Auch das ist Alltag. Und auch das lässt sich feiern. Ein Gruss da, ein Lächeln dort. Wenn ich mit Freunden unterwegs bin, fragen diese mich manchmal, ob ich denn all die Leute kenne, die mich unterwegs grüssen. Nein, tue ich nicht. Aber ich achte sie seit Jahren. Und mit der Zeit freut man sich, wenn man sich wieder sieht. Nur für einen Augenblick. Bevor uns der Alltag wieder verschluckt. Oder auch nicht. Da gibt es beim Einkaufen immer wieder lustige Situationen, ganz spontan. Und die Menschen zeigen sich von ihrer humorvollen Seite wegen einer eigenartig geformten Stange Sellerie oder einem dummen Spruch vor dem Fleischregal, wenn ich lauthals feststelle, dass ich auch ein dry aged Rindviech bin… und schon wird vergessen, dass wir ja eigentlich nur eine Herde Schafe sind, die ihre Einkaufswägelchen vor sich herstossen, füllen und zur Kasse fahren.
Rätselhafte Mitmenschen.
Es fällt mir leicht, etwas zu zelebrieren. Vielleicht habe ich bei all dem einen entscheidenden Vorteil: Ich habe die Erfahrung gemacht, was es bedeutet, aus dem Alltag herauskatapultiert zu werden. Diese Erfahrung ist viel mehr als das blosse Wissen um die Tatsache, dass das alles nicht selbstverständlich ist. Ich kann alles verlieren, von einer Sekunde auf die andere.
Ich habe aber auch die Erfahrung gemacht, dass meine Zelebriererei von anderen als anstrengend empfunden wird. Ein Reflex, der mich befremdet. Der mich aber nicht davon abhält. Aber doch zum Nachdenken bringt. Ist es ihr Effizienz-Gedanke, der Widerstand leistet? Ist es ihre Gestresstheit, die ja eben gerade durch das Feiern einer Alltagsverrichtung nachlassen würde? Ist es die Idee, dass Freude, Witz, Charme und Lachen allesamt Umwege oder gar Irrwege sind, die vom Ziel ablenken? Was ist dann das eigentliche Ziel? Und welche Alltagskultur leben wir als Gesellschaft?
Vielleicht verdeutlicht der folgende kleine Trialog (der sich neulich im Pendlerzug wirklich so zugetragen hat), was ich meine:
Sie schmatzte plötzlich laut und bemerkte mein Grinsen. Ich so: «Was wohl der Gedanke dahinter war?» Sie so: «Keiner. Ich versuchte, ein Apfelstückchen zwischen den Zähnen herauszubekommen.» Lachen. Darauf ihre Sitznachbarin: «Ich kämpfe gerade mit einem Rüben-Rest.» Gelächter. Ich so: «Ich kann nur mit Darvida-Krümeln dienen.»… Gröhl.
So. Und jetzt gehe ich Staub saugen. Also nicht ich, der Staubsauger natürlich. Und ich hinterher. Let’s celebrate.