Die Lösung ist das Problem.

Ich habe viele gute Ratschläge bekommen, seit meiner ersten Diagnose. Immer mit dem Hinweis, ich müsse selber wissen, was für mich gut sei. Wohl wissend, dass ich ein Sturkopf bin. Wobei: Ich bevorzuge bezeichnenderweise «eigensinnig» und «eigenwillig». Und bedanke mich artig, sowohl für die Ratschläge als auch für das Verständnis.

Unter anderem ist mir ein Buch geschenkt worden (wo ich doch soooo belesen bin) mit dem Titel «Gesundheit». Deepak Chopra, Bestseller-Autor, Arzt und spiritueller Lehrer, macht mir gleich im Vorspann dieses Buches klar, dass mein Körper bloss die Idee meines Geistes bzw. meiner Seele sei und dass sich mein Geist diesen Körper ersonnen habe, damit meine Seele in dieser Welt etwas erleben kann. Meine Freunde und ich haben in bestimmten Aggregatszuständen schon als 16-Jährige so gedacht.
Ich folgere aus seinen Aussagen, dass ich bzw. mein Geist dafür verantwortlich sind, ob mir Umwelteinflüsse schaden, sich meine eigenen Zellen gegen mich wenden und beispielsweise Krebs verursachen. Oder eben nicht.

Dieser Gedanke wirft zahlreiche Fragen auf. Noch die harmloseste: Diesen Bestseller müssen also viele Leute gelesen haben. Sonst wäre es ja keiner. Wo sind denn all diese Leute, warum erkenne ich sie nicht?
Nächste Frage: Warum achten wir denn überhaupt darauf, uns «gesund» zu ernähren? Geht es um das, was wir zu uns nehmen, oder reicht der blosse Gedanke, das Bewusstsein der Selektion, damit uns alles in den richtigen Hals kommt?

Gut, bislang waren es spielerische Fragen. Jetzt also zum Eingemachten: Wenn ich meine Zellen selbst programmieren kann, wozu sollte ich dann Homöopathen, Naturärztinnen, Cranio- und anderswie Therapierende aufsuchen? Oder anders herum gefragt: Was könnten mir diese denn helfen, wenn ich meine Zellen doch falsch programmiere? Die Wahrscheinlichkeit, dass ich ihre Bemühungen übersteuere, ist doch gross, oder?

Noch krasser: Wenn ich der Soft- oder Malware-Programmierer meiner selbst bin: Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Wollte ich das etwa? Spätestens jetzt müsste mir mulmig zumute sein. Ist es auch. Ein wenig. Denn zur Zeit ist es so, als gäbe es mich doppelt. Der eine macht brav, was zu tun ist, wenn auch etwas langsamer als zuvor, aber immerhin und möglichst fehlerfrei und so, als wäre nichts gewesen oder im Busch. Aber der andere steht still, sitzt da und sieht allem zu. Und weiss nicht recht. Wie weiter und ob überhaupt. Der eine scheint eine Frohnatur zu sein, der auf die Frage «Wie geht ’s?» immer mit «Es hüpft.» antwortet. Der andere ist unsagbar wütend – oder wie ein Freund kürzlich feststellte – ein im tarnenden Wutmäntelchen da hockender Trauerkloss. Nicht auszudenken, was passiert, wenn ich letzterem das Glück meiner Zellen überlasse.

Der eine schafft neues und freut sich riesig auf die kommende Ausstellung beim Artwalk 2017 im Bremgarten und liest brav im Buch «Heilung» weiter, während der andere zunehmend eine Belastung für sein Umfeld wird, weil er ungeschönt Auskunft gibt über seine aktuelle Situation. Er bekommt zu hören, dass er undankbar ist, ihm die Demut fehle und er die Krankheit nicht als Chance sehe (eine Unsitte, die sich in den letzten Jahren nicht nur bei Esoterikern eingeschlichen hat).

Doch trotz all den Differenzen zwischen diesen beiden kleinlichen Ichs gibt es auch Gemeinsamkeiten: Alle beide sind sie Kindsköpfe. Gemeinsam geniessen sie die Sonne. Und wünschen sich, die Leichtigkeit möge wiederkehren.

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8 Gedanken zu „Die Lösung ist das Problem.“

  1. Ja, ja, diesen Blödsinn habe ich auch schon gehört ( nicht gelesen ;-). Eine Tröte belehrte mich, ich sei nur kurzsichtig (8 und 10 Dioptrien) weil ich nicht sehen WOLLTE. Ach – soo? Als Zehnjährige habe ich also beschlossen, nicht sehen zu WOLLEN – darum wurde ich kurzsichtig. Dass bei Kurzsichtigen der Augapfel zu „lang“ ist und das Bild VOR der Netzhaut entsteht, wollte die Tröte nicht verstehen. Logisch. Wie auch? Es gibt Gene, Umwelteinflüsse, die wir nicht oder nur wenig steuern können. Dieser „Selber-schuld-Trip“ einiger Esoteriker und ihrer Gefolgschaft ist die esoterische Variante des „Eigenverantwortlichkeits-Terros“ der ultraliberalen Bagage und wird auf alles angewendet, was ihnen in ihre von zerebraler Dysfunktion geschäftigen Regionen gerät.

    1. Liebe Margrith,
      das klingt nach einer rechten Portion Verärgerung. Das wollte ich nicht. Schliesslich haben wir schon genug Ärger. Ich hoffe, dass dir ebensoviel … nein, viel mehr Verständnis entgegen gebracht wird. Das mit dem Selber-schuld-Trip ist nur eine Folge unserer «Du kannst das Beste aus dir machen»-Erziehung. Wie Christoph Dill kürzlich treffend bemerkte, wurden wir in diesem Glauben erzogen, was zum Einen zur Folge hat, dass wir vielleicht enttäuscht werden, wenn wir mit unserer Best-Version konfrontiert werden, zum Anderen müssen wir in diesem «Glauben» im Falle des Versagens die Schuld auf uns nehmen. Irgendwie schrecklich. Und auch schrecklich überheblich. Hm.

      Wir bleiben dran, gell?

  2. Meine Tante von der Psycho-Onkologie hat mir das Buch „The Journey“ von Brandon Bays empfohlen und ich hätte es schon wegen des Covers wissen müssen. Aber eben – verurteile kein Buch wegen dessen Umschlag. Nach ca. 60 Seiten hab ich es an die Wand gepfeffert, da im Umkehrschluss ich ja selber schuld bin an meinem Tumor. Da sind mir die Freikirchler aus dem Umfeld meiner Eltern noch lieber, die beten einfach für einem aber lassen mich sonst in Ruhe. Und ja, das fällt einem schon massiv auf, wie die Esotherik im Populärbewusstsein Einzug gehalten hat. Man kommt sich dann immer so armseelig vor, dass man nicht schon längst die Erleuchtung erreicht hat.

    1. Ich musste grinsen beim Lesen deiner Zeilen. Gerade weil ich ein wenig von deinem Hintergrund weiss. Allen anderen sei gesagt: Nein, die Tante ist nicht verwandt, weder mit Patrick noch mit mir. Dennoch hatten wir beide das Vergnügen. Und zu ihrer Ehrrettung möchte ich anfügen: Sie wird wohl nicht allen nicht helfen können.
      Das mit dem Einzug der Esoterik mag so scheinen. Denn in der Wirtschaft hat dies nicht im Geringsten mit Esoterik zu tun. Sondern lediglich mit einem falschen Heilsversprechen. Du kannst es schaffen, wenn du dich nur genügend bemühst. Und wenn du es nicht schaffst, hast du dich eben nicht genügend bemüht. Weil du es nicht genug wolltest. Aber sonst ist der (Gott des) Markt ein gerechter (Gott). Einer, der allen die gleichen Chancen bietet.
      Dann kehrt der Gedanke zurück, zum Beispiel ins Gesundheitswesen … und zack! Bist du der Tubel von deinem eigenen Krebs.
      Doch ein Schritt zurück: Ich sage nicht, dass Deepak Chopra nicht recht haben könnte. Sein Gedanke ist interessant. Darum nehme ich ihn ernst. Welche Schlüsse ich daraus ziehen kann – wenn überhaupt – steht in einem ganz anderen Blog.

  3. Valide (!) onkologische Studien zeigen keine Korrelation zwischen Ernährung und einem möglichen Tumorwachstum; Parallelen, zu dem worüber Du berichtest, finde ich – in der Neurologie tätig- tagtäglich. Patienten mit einem Meningeom, einem benignen Hirntumor, wird in ihrem sozialen Umfeld begegnet, als ob sie ansteckend sind. Patienten mit einer Epilepsie berichten,dass nach jedem erneuten epileptischen Anfall ihnen gegenüber kommuniziert wird,dass sie ihre antikonvulsive Therapie nicht verlässlich eingenommen haben usw.usw. Ich glaube,es ist ein gesellschaftliches Problem,wie wir mit Erkrankungen umgehen. Eine Patientin hatte mir berichtet, dass sie über ihre Erkrankungen (Encephalomyelitis disseminata, Mamma-Ca, Z.n. Resektion sowie Radiatio und Chemotherapie) nicht sprechen wolle und sehr auf Ablehnung st0ße mit ihrer Haltung, ihr gehe es aber damit besser. Ich habe ihr erklärt, dass ihre Person/ihr Leben sich ja nicht durch ihre Erkrankungen auszeichnet, sondern z.B. durch das, was sie in ihrem Beruf als Architektin macht oder durch das, was sie liest und darüber denkt. Ein anderer Patient mit einem Astrozytom und sehr erfolgreich verlaufender Tumorexstirpation hat mit seinen Kollegen nach seiner stufenweisen Wiedereingliederung seine cMRT-Aufnahmen (CD bekommt jeder Patient mit) diskutiert. Jeder soll es so machen (können), wie diese beiden Patienten!

    1. Liebe Benita,
      danke für deine Zeilen. Diese Sicht von der anderen Seite, das Erleben der Erkrankten und ihren Umgang mit der Tatsache bietet neu Perspektiven. Und letztlich gehen alle so damit um, wie sie es vermögen bzw. verkraften können. Dass Menschen, die ihr Problem nach aussen tragen, «geächtet» oder gemieden werden, ist zwar äusserst traurig, aber irgendwie nachvollziehbar. Wir haben noch immer nicht gelernt, damit umzugehen. Kein Wunder: Es ist ja auch kein Fach in der Schule. Wir lernen lediglich, wie wir funktionieren. Und nicht, was zu tun ist, wenn wir mal nicht funktionieren.
      Zur Einnahme der Medikamente und dem allgemeinen Folgeleisten der ärztlichen «Anweisungen»: Die Compliance, wie das nun auch im Gesundheitswesen genannte wird, liegt offenbar lediglich bei ca. 50 %. Auch das sollte uns zu denken geben.

  4. Wie ich sie liebe, die Menschen aus der Ecke derer, die dir weismachen, dass alles möglich ist, wenn du es nur genug willst. Das sind die, welche jedes Jahr nach Indien pilgern und Indien als gelobtes Land ansehen. Vermutlich sind die verhungernden Bauern da auch Schuld an ihrer Armut. Hätten sie mal mehr gewollt. Das sind die, welche Affen- und Elefantengötter anbeten, weil es so hipp ist und dir sagen, du müsstest nur genügend in die Meditation gehen, um dich selber zu finden, dann sei alles om shanti und toll. Und wenn das nicht hilft, gibt es sicher ein Kügeli oder ähnliches. Sie machen dir auch weis, dass alles, was du isst, böse ist, wenn nicht vegan drauf steht. Und der Kreis schliesst sich, dass du ja selber schuld bist, wenn du krank bist, wenn du anders lebst und isst, als sie es sagen, denn dann schlägt das böse Karma ganz böse zurück. Dir direkt in die Magengrube. Oder so.

    Die zwei Seelen in der Brust, die sich nicht verstehen, aber doch ab und an ganz gut miteinander auskommen, kenne ich auch. Einer stämpfelet, einer tanzt – und manchmal machen sie es im gleichen Takt und finden, sie passen doch ganz gut zusammen.

    1. Liebe Sandra,
      Patchwork-Glaube bzw. -Philosophie hin oder her: Der Gedanke des Selbstprogrammierens lässt mich so schnell nicht los. Was wir wirklich glauben, welche Werte wir für echt halten, zeigt sich sowieso erst, wenn sie ernsthaft geprüft werden. Wenn etwas passiert, dass völlig quer in unserem Weltbild steht oder es tatsächlich ans Leben geht.
      Auch habe ich (für mich) eine erstaunliche Parallele zwischen traditionellen Medizinern und Esoterikern gefunden: Mein Chirurg sagt, mein Rauchen sei für den Tumor verantwortlich. Ich müsse das Rauchen sofort einstellen. Oder anders ausgedrückt: So, wie ich mich vor 30 Jahren auf das Rauchen programmiert habe, so soll ich mich nun umprogrammieren 😉
      Weisst du, was ich meine?

      Ursache und Wirkung, Kausalität und Koinzidenz sind Dinge, die sich oft zum Verwechseln ähnlich sehen. Dinge, mit denen sich meine beiden Ichs noch eine Weile auseinander setzen müssen. Ohne Groll und Abwehr.

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