Um es vorweg zu nehmen: Der lichtscheue Wolf war tagsüber nicht zu sehen und blieb nachts im Zwinger. Und dies, obwohl es hier mehr als genug Wände und andere Gelegenheiten gegeben hätte. Doch so kann ich hier leider nichts neues über sein Wesen und Unwesen berichten.
Die Stadt war auch ohne ihn ein grossartiges Erlebnis. Die Leute sind richtig freundlich, auch wenn ich nicht alles verstanden habe … wenn jemand beim Sprechen mal wieder die Zähne nicht auseinander brachte. Wahrscheinlich alles kleine, freundliche Wölfe. Apropos: Auch Wölfe werden auf ihren langen Streifzügen dann und wann hungrig. Und finden hier günstig gutes Essen, sofern sie einen Bogen um die auch hier zahlreich vertretenen Frust-Food-Ketten machen, was ein Leichtes ist.
Leider waren zweieinhalb Tage auch zu kurz, um die Industriebrachen und leerstehenden Gebäude ausfindig zu machen, in denen man spontan die eine oder andere kleine Aktion starten oder eine flüchtige Ausstellung organisieren könnte. Aber Dresden steht schon lange (wieder) und wird es auch noch lange tun. Und vieles ist in dieser Stadt «noch nicht entschieden», also noch möglich, auch wenn die fetten «Residenz-Überbauungen» auch hier in die Altstadt und überall dazwischen drängen. König und Kurfürst würden sich im Grabe umdrehen, wenn sie die gelben Lambos und die giftgrünen Maseratis mit russischen Kennzeichen zwischen dem Residenzschloss und dem Palais Taschenberg sähen. Aber die sagen nichts mehr. Seit der Errichtung der Plattenbauten machte dies auch nicht wirklich Sinn. Ausserdem könnten sich die früheren Herren nicht nur beklagen, sondern sich auch rühmen, Urheber einer neu auflebenden Sitte zu sein: das Ausnehmen der Arbeitskräfte. An den Türen zahlreicher Geschäfte hängen Schilder mit Aufschriften wie «Arbeitskraft gesucht auf 450-Euro-Basis» oder ähnlichem. Die 450-Euro-Jobs haben bereits einen ausführlichen Eintrag bei Wikipedia. Man muss sich das einmal vorstellen: Ein Mensch braucht zwischen fünf und zehn solcher Jobs, um hierzulande (CH) über die Runden zu kommen. Da diesen Jobs aber ein Stundenlohn von EUR 8.50 und 50 Stunden zu Grunde liegen, müsste ein Monat logischerweise fünf bis zehn Wochen haben …
Nun ja, irgend jemand muss doch all die Arbeit machen. Und obwohl ich beileibe kein grossverdienender Nichtstuer bin, habe ich dann und wann ein schlechtes Gewissen. Immerhin komme ich mit meinen völlig überbewerteten Schweizerfranken ins Euro-Land und schlage mir den Bauch voll.
So oder so: Ich bin schwer beeindruckt von Dresden, von den freundlichen Menschen hier und dem gelungenen Nebeneinander von Barock, Plattenbau und neuer Architektur. Diese Stadt bleibt auf meiner Liste der Reiseziele.