Nur wenige Jahre hat es gedauert, um der westlichen Gesellschaft eine neue Lebenshaltung zu geben: gekrümmt, über ein kleines Kästchen gebeugt, als könnten die Hände es nie mehr loslassen, als müssten unsere Finger immerzu fiebrig darüber hinweg huschen, als erinnerten sich unsere Augen nicht mehr, wohin sie geschaut haben, bevor es das gab, als hätte die halbe Menschheit synchron einen Nackenschlag erhalten, so heftig, dass er uns in dieser Haltung erstarren liess, in der Erwartung, der nächste Schlag könnte jeden Augenblick folgen. Manchmal möchte ich sagen: «Du kannst es mit deiner Hand näher zu dir nehmen. Du musst ihm nicht mit dem Kopf entgegengehen.»
Eure Sehnenscheiden-Entzündungen sind mir egal. Geht doch zum Doktor. Euer auf ein paar Pixel zusammengeschrumpfter Horizont und das damit einhergehende, veränderte Verhalten machen mir schon bedeutend mehr Angst. «Ja, Sie müssen den Knopf schon selber und richtig drücken» möchte ich manchmal sagen, wenn die Leute hilflos direkt vor der verschlossenen S-Bahn-Tür stehen und nichts passiert.
Aber am allermeisten vermisse ich eure Augen, in die ich nun nicht mehr blicken kann, weil sie gesenkt auf dieses Kästchen starren, als könnten sie in eine andere Welt hineinblicken. Und dabei doch nichts anderes sehen, als das, was jemand für sie aufbereitet hat, weil er glaubt, dass sie das sehen wollen, und sie es ansehen, weil sie glauben, dass es jemand für sie aufbereitet hat, weil es für sie wichtig sein müsste.
Ja, ich vermisse eure Augen, am Morgen noch verwirrt, geblendet, verschlafen und doch ein wenig neugierig auf den Tag und alles, was er vielleicht bringt. Eure Augen über Mittag, vordergründig mit Essen oder einem Business-Gespräch beschäftigt, hintergründig aber am Beobachten, schauen, was es so gibt, wer vorbeigeht, was Mode ist, wer einem Blicke zuwirft, verstohlen, verlegen, verschmitzt.
Anderen Blicke zuwerfen und Aufmerksamkeit schenken ist aus der Mode gekommen. Meine Blicke knallen von euch unbemerkt auf halber Strecke auf den nassen Asphalt oder prallen an mobiler Blindheit ab. Welch‘ eine Ironie wäre es, wenn ihr euch in diesem Augenblick bei einem unbekannten Facebook-Freund oder in einem Whatsapp-Chat darüber beklagen würdet, dass euch niemand bemerkt!