Feindbild weisser, alter Mann

In letzter Zeit wird häufig und in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen über den weissen, alten Mann bzw. ebenso weisse über 60-Jährige geschimpft. Soll ich mir jetzt wünschen, nie 60 zu werden? Das ginge noch, weiss und männlich bin ich ja seit Geburt.

Ganz gleich, ob es um die #metoo-Debatte geht, irgend eine Führungsriege gerügt wird, über die vermeintlichen Eitelkeiten von Gründervätern kultureller Betriebe gelästert oder politische Klüngeleien angeprangert werden: Immer sind es die weissen, alten Männer, die daran Schuld haben.
Nun, in ein paar Jahren werde ich 60, gehöre also definitiv zur aktuell angefeindeten Zielgruppe. Ganz offensichtlich – und das gehört zu jedem grosszügig definierten Feindbild – bin ich mitgemeint und stehe als solches im Weg. Und mit mir nicht wenige meiner Altersgenossen, die tatsächlich in den späten Sechzigern oder spätestens in den frühen Achzigern etwas geleistet haben, das auch heute noch Bestand hat. Und sei es nur als Vision. Soll ich mich deshalb für mein Alter schämen und dafür, dass ich immer noch da bin?

Darf ich vorstellen?

Ganz kurz: Wie viele andere auch war ich – wenn auch als kleines Licht – Teil der Bewegung in den 80ern, also zumindest etwas Zählbares, wenn es darum ging, die Teilnehmerschar für die Presse zu beziffern. Ich nahm die damaligen Ideen auf, trug sie aufs Land bzw. in die erweiterte Agglo und mischte auch dort mit. Ich hatte das Glück, Partner einer Emanze mit feinem Radar und grossartiger Ausdrucksweise zu werden, die mir ein paar blinde Flecken in meiner Erziehung bewusst machte und mir freistellte, diese in angemessener Weise zu überarbeiten. Als jemand der mit 16, 17 von zuhause auszog und daher früh und gründlich eine gewisse finanzielle und geistige Autonomie erlangte, fiel es mir leicht, Jahre später 50 % eines Familien-Haushalts und der Erziehung zu besorgen, auch als Quasselstrippe anderen zuzuhören, als Besserwisser ihren Weg zu akzeptieren und ihnen ihren Raum zu lassen.

Und jetzt?

Jetzt höre ich Kritik an meiner Generation, die ich durchaus nachvollziehen kann. Aber die Definition des Feindbilds vom «weissen, alten Mann» steht in derselben Tradition wie jenes vom Kapitalisten (seit Anfang des letzten Jahrhunderts), vom bösen Staat (80er), vom Abzocker und Spekulanten (80er und heute), vom Gutmenschen (immer mal wieder) und ähnelt in seiner Präzision etwa den krakeligen Zeichnungen der Höhlenmenschen.

Ich mag zwar ein Arschloch sein und als solches keinen Wunsch frei haben. Dennoch eine Bitte: Bevor jemand das nächste Mal die grosse Klatsche auspackt um eine möglichst grosse Gruppe (die keine ist) an die Wand zu hauen – denkt kurz an mich oder bessere wie mich, die mitgewatscht würden. Und die sich dann – wo es doch keinen Unterschied macht –zurecht fragen müssten, warum sie nicht tatsächlich jene bewusst- und rücksichtslosen Arschlöcher geworden sind, die sich die halbe Welt nehmen und die andere Hälfte als Abfalleimer nutzen.

Wenn das nur ein paar tun, werde ich meinen 60sten mit Freuden begehen.

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3 Gedanken zu „Feindbild weisser, alter Mann“

    1. Es ist schon noch etwas mehr: So ist es auch eine aus meiner Sicht nachvollziehbare Retourkutsche, die aber leider alle Definierten trifft statt jene, die dieses System unterstützen. Bei solch einer Breitseite ist es leicht, der Kritik auszuweichen.

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