Mensch kann dem Fremden entweder mit Misstrauen oder mit Neugier begegnen. Mir gelingt letzteres weitaus häufiger. Es ist eine Entscheidung, die ich nicht bewusst treffe. Es passiert einfach. Vielleicht ist es auch eine Frage des Selbstbewusstseins. Ich weiss es nicht. Worauf ich aber hinaus will: Ich habe es satt! Auf der einen Seite steht der Mensch, der nur noch als Arbeitskraft gesehen wird. Und auf der anderen Seite wird diese Arbeitskraft, wenn sie aus der Fremde kommt, kontingentiert. Gefolgt vom Geplärr, vom Gestänkere, von einer mittlerweile offenen Hetze gegen die fremden Horden und dass man mir weismachen will, die würden uns alles wegnehmen, seien Schmarotzer, die sich auf unsere Kosten bereichern wollten. Ich habe es auch deswegen satt, weil damit die falschen gemeint sind. Und weil dies bei mir eine offene Wunde hinterlassen hat, die mich so leicht reizbar macht, dass ich selbst am liebsten losbrüllen möchte. Schliesslich hat sich «unser» Land in der Vergangenheit nicht nur mit humanitärem Ruhm bekleckert, sondern auch ganz viel Dreck am Stecken. Unsere Söldner waren über Jahrhunderte als die gröbsten Schlächter weit herum bekannt. Doch nun klagen wir an, als hätten wir nie jemandem ein Haar gekrümmt. Als würden wir uns nicht schon seit Jahrzehnten aus aller Welt holen, was uns hier das Leben angenehmer macht.
Und nun hetzen wir also gegen Fremde. Noch vor wenigen Jahren geschah diese Schande noch hinter vorgehaltener Hand, dann mit der Faust im Sack und nun… auf der gekauften Titelseite der nationalen Presse. Landauf, landab, ob im gottesfürchtigen Boswil oder im sattgrünen, Mais-bewachsenen Oberwil-Lieli, überall dort, wo man das Fremde meist nur vom Hörensagen kennt, schiessen diese Typen aus dem Boden. Ich will aber nicht geholfen werden, schon gar nicht von einem Drecksack, der es doch nur gut mit mir meint. Ich will selber Partei ergreifen. Für die Kreativität und Lust auf zwei Beinen, egal welcher Hautfarbe oder Provenienz. Für das, was ich für richtig halte. Gedankensprung…
Parteien und Popositionspapiere.
Manchmal habe ich Glück, und es geht mir ein Lichtlein auf. Wie eben. Ich weiss jetzt, warum ich so lange Mühe hatte mit Politik und Parteien – auch mit meiner eigenen. Gemerkt habe ich das, als ich im vermeintlichen Kontrast dazu die Positionspapiere von Operation Libero durchlas. Auch diese Organisation verfolgt – einfach ohne Parteibüchlein – denselben Ansatz wie die Parteien dieses Landes, wie die ThinkTanks und andere Plattformen, auf denen sich die Intelligenzia trifft und sich den feinsinnigen Kopf über die Probleme dieses Landes zerbricht: Sie verknüpft alle Probleme und nicht zwingend folgerichtig auch alle Lösungen mit der Wirtschaft, so, als hinge alles von der Wirtschaft ab. Es hängt zwar alles auch mit ihr zusammen. Aber es ist gefühlsmässig und organisatorisch ein himmelweiter Unterschied, ob sich die Menschen der Wirtschaft unterstellen oder ob sie sich ihrer bedienen. Es ist wie mit der Einstellung, ob man lebt um zu arbeiten, oder ob man arbeitet, um leben zu können. Ausserdem ist einer der Leitsätze der Liberalen heute wohl wahrer denn je: Jeder ist seines Glückes Schmied! Dabei spielt es gar keine Rolle, ob er einen Amboss hat und kräftig und geschickt mit seinem Hammer umzugehen weiss. Es reicht, ihm kein Feuerholz für seinen Ofen zu liefern…
Selbst der Ansatz vom bedingungslosen Grundeinkommen basiert letztlich auf der Idee, die Menschen müssten einfach genug Geld haben, um dann – endlich – etwas Sinnvolles mit ihrer Zeit anzufangen.
Aber wie soll das gehen, mit Menschen, die ihr Leben lang nichts anderes gelernt haben, als das Mantra, erst etwas verdient zu haben, wenn sie etwas zur Wirtschaft beigetragen hätten? Dass sie in einer Gesellschaft lebten, die sie erst akzeptiert, wenn sie ihr ihre Zeit und Arbeitskraft geopfert hätten? Und auch kaum je genug Zeit und Gelegenheit dazu hatten, ihre kreativen Seiten kennenzulernen oder gar zu leben, wenigstens hin und wieder? Was sollten die Menschen mit ihrer Zeit überhaupt anzufangen wissen? Sie können es gar nicht wissen, wenn sie von klein auf zu nützlichen Idioten herangezüchtet werden, wenn sie nie die Möglichkeit hatten, etwas anderes zu sein als Arbeitskraft, Profitpool, Kontingent der Wirtschaft.
Was bist du wert?
Selbstverständlich ist es ein Geben und Nehmen. Aber ebenso unglücklicher- wie boshafterweise wird nicht jede Gabe gleich hoch bewertet. Es gibt im Gegenteil riesige Unterschiede. Nur so lassen sich solch extreme Lohnunterschiede überhaupt begründen. Rechtfertigen lassen sie sich damit nicht. Aber diese Bewertung ist Grundvoraussetzung für das gewollte Gefälle in unserer Gesellschaft. Wir mögen seit Jahrzehnten keinen Krieg gehabt haben. Aber ein Frieden ist das nicht.
Zurück bleiben Menschen – ob erfolgreich oder Loser – mit einer diffusen Sehnsucht. Mit einem kaum diagnostizierbaren Leiden, für dessen Behandlung bald keine Krankenkasse mehr aufkommt. Wir werden immer älter. Und nutzen unsere Zeit, um unsere Neurosen zu kultivieren und weitere Ticks zu immer mehr Gesten aneinanderzuhängen, die allesamt keinen Sinn ergeben.
Im Kontrast dazu merke ich ja selber, wie ich reagiere, wenn ich einer Seele von Mensch begegne, die ihre Energie nicht nicht in den Kategorien «Arbeitskraft» und «Kaufkraft» gebündelt hat. Ich weide mich in ihrem sonnigen Gesicht aus, koste jeden Augeblick aus, die sie mir schenkt. In vollen Zügen. Wer weiss, wann ich ihr wieder begegne?