Phillip Meier, ehemals Direktor des Zürcher Cabaret Voltaire, feuert in seinem Artikel auf tsri.ch eine Breitseite gegen die Kulturpolitik der Stadt Zürich ab.
Grundsätzlich hat er nicht Unrecht. Aber im Detail. Beispielsweise beklagt er die Kommerzialisierung der Kultur. Angesichts der Kommerzialisierung des Lebens seit den 80ern des letzten Jahrhunderts ganz generell frage ich mich: Warum soll das ausgerechnet in der Kultur bzw. in der Kunst anders sein? So gesehen liegt er auch falsch, wenn er diese Kommerzialisierungsbestrebungen der Stadtverwaltung, der Fachstelle Kultur und der rot-grünen Politik zuschreibt. In einer Zeit, in der offenbar jeder Handstreich, ja selbst das süsse Nichtstun an der Börse eine Wertvermehrung zur Folge haben muss, sind die Bemühungen der Kulturkommissionen und Budgetverwalter nur ein Tropfen auf einen überhitzten Stein.
Apropos Kommerzialisierung: Als Präsident des Kellertheaters Winterthur, aber auch als Vorstand der Kulturlobby Winterthur wurde ich im Zusammenhang mit den Subventionen immer wieder mit der «Ökonomie» konfrontiert. Bei Institutionen gibt es nämlich zwei harte Gradmesser: Sitzauslastung und Selbstfinanzierungsgrad. Beide dienen als Beweismittel und Rechtfertigung für die fliessenden Gelder. Beim Verein Kellertheater kommen die zwar schwindenden, aber noch immer beachtlichen Mitgliederzahlen dazu.
Erst in dritter Linie, wenn überhaupt, wird die inhaltliche Relevanz des Gebotenen betrachtet. Weil sie eben kaum messbar ist.
Phillip Meier kritisiert die Kulturpolitik. «Kultur» ist aber ein äusserst verwirrlich, weil sehr unterschiedlich interpretierter Begriff. Das hat sich ganz deutlich gezeigt, als die AG Kultur der SP Kanton Zürich sich daran schickte, ein sinnvolles Kultur-Positionspapier zu erarbeiten. In den Diskussionen gerieten immer wieder die Begriffe «Kultur» und «Kunst» durcheinander. Und wir brauchten eine ganze Weile und Nerven ohne Ende, bis wir das geklärt hatten. Letztendlich fanden wir eine gute, umfassende Definition: Im Prinzip ist Kultur alles, was ist. Also, woher wir kommen, und was wir heute daraus machen, Tradition und Innovation unserer Gesellschaft. Nachdem das geklärt war, brauchten wir uns nicht mehr über Elfenbeintürme, diplomiertes Spezialistentum und anderes Elitäres die Köpfe zerbrechen. Vielmehr ging es ab sofort darum, bessere Wege der Teilhabe und Teilnahme zu finden. Auch fiel es viel leichter, nicht mehr in einzelnen Kunst-Sparten und an Partikulär-Interessen zu denken. Es ist klar, dass Kultur bzw. Kunst und alle daraus entstehenden Anlässe Plattformen sind, die der Bildung, der Integration und Migration und so letztlich auch der Sicherheit dienen. Ganz persönlich hilft es mir auch gesundheitlich.
Vor diesem Hintergrund fällt es mir schwer, den von Phillip beklagten Alternativen nachzutrauern, die nun etabliert sind. Oder dem eingestellten «Parkett», von dem ich kürzlich etwa vier Jahrgänge ins Altpapier gegeben habe. Oder Streetparade und Techno als verkannte Revolution anzusehen. Auch kann ich keinen direkten Zusammenhang zwischen der dünnen finanziellen Kulturförderung bzw. dem dicken Katalog an Auflagen und dem Exodus von kreativen Köpfen entdecken. Kreative Köpfe haben schon immer Mittel und Wege gefunden, diese Hürden zu umgehen. Ausserdem sieht das alles aus meinem ländlichen Blickwinkel völlig anders aus. Je weiter ich mich von der Stadt entferne, umso näher kommen die Stilleben-mit-Gänseblümchen-Vernissagen. Und umso bescheidener werden die Kultur-Budgets. Im Vergleich dazu mutet das Treiben in der Stadt wie der reine Kultur-Wahnsinn an, wenngleich wir hier von Hamburger Elbträumen weit entfernt sind.
Konkret, in Zahlen: auf dem Lande (im Kanton Zürich, Schweiz) wird teilweise weniger als 0,3 % des Gemeindebudgets für Kultur ausgegeben. Dass das nichts-komma-nichts ist, wird klar, wenn man weiss, dass gewisse Gemeinden die neue Weihnachts-Strassenbeleuchtung in eben diesem Kulturbudget verbucht, andere besonders kreative Gemeinden sogar das Service-Abo des Getränkeautomaten im öffentlichen Hallenbad!
Den grössten Fehler begeht Herr Meier aber, wenn er Leichttürme gegen Alternative (die gemäss ihm noch nicht in Sicht sind) ausspielt, indem er moniert, dass es kulturell nicht vorwärts gehe, weil sowieso das meiste Geld in Kunst- und Schauspielhaus gebunden sei (auf kantonaler Ebene wäre es das Opernhaus mit 85 %).
Es muss beides geben. Etablierte und Neue, sowohl als auch, verdammt! Das Problem ist nicht, dass die einen zu viel Geld kosten, sondern dass insgesamt zu wenig Geld zur Verfügung steht … damit auch die anderen unterstützt werden können. Es braucht also MEHR!
Wie gefordert im brandneuen Kultur-Positionspapier der SP Kanton Zürich >