Politik + Kultur = Politur?

politurWas sehen wir, wenn wir nach Winterthur blicken? Eine Stadt, die ehrlich versucht, nur so viel auszugeben, wie sie verdient? Eine Stadt, die – gut erzogen wie sie nun mal ist – nicht über ihre Verhältnisse leben will, obwohl sie sich weit über das Verkraftbare vermehrt? Eine Stadt, die nur die Regeln der Ökonomie befolgt und dabei die ökonomischen Folgen dieser Sparorgie vergisst? Nicht umsonst kennt man auch unter Ökonomen den Begriff der Wirtschaftsdepression.

Das Thema Sparen hat in allen Bereichen eine derartige Dominanz, dass sich bald alle, die irgendwie mit Winterthur und dem Staat zu tun haben oder eine Gegenleistung erwarten, wie Bittsteller vorkommen. Allen voran die Kulturschaffenden. Viele scheinen nicht mal mehr auf die Idee zu kommen, hin zu stehen und zu sagen, dass sie auch eine unglaubliche Menge gute Unterhaltung, Denkanstösse, gesellschaftliche Gelegenheiten (sich zu treffen und auszutauschen), Stoff für die Bildung und Einsparungen im Sozial- und Gesundheitswesen liefern.

Kultur ist ein beträchtlicher Beitrag zur Prävention vor dem gesellschaftlichen Zerfall. Aber nein, man stellt sich als Kulturschaffender selbst als Bettler hin.

Wo bleibt der Stolz auf das Gebotene, die Selbstachtung für das eigene Treiben, das aufrechte Hinstehen? Warum holt uns immer wieder die eigene Erziehung (“Lerne erst mal etwas Rechtes, etwas, wovon du leben kannst!”) ein, als wäre es gottgegeben, dass ein Theatereintritt nur 32, ein Flachbildschirm aber 600 Franken wert ist. Wir arbeiten im Kulturbereich, weil wir dessen Wert höher schätzen als das blosse Herumschieben von Geld von A nach B, wo es doch weder in A noch in B gebraucht wird. Warum trauen wir uns das nicht laut zu sagen? Wir sind die Case Manager der Gesellschaft, wir sind nicht nur zuständig für die Lebensqualitätskontrolle, sondern auch für deren Hebung!

Und: wir sind nicht neutral. Wir wollen niemanden unberührt lassen. Vorher eine Schnute, nachher ein Lächeln. Vorher eine gewisse Bequemlichkeit, nachher vielleicht eine kleine Überprüfung der eigenen Befindlichkeit oder Korrektur der persönlichen Werte. Vorher ein wenig perspektivenlos, nachher angeregt, eine Vision zu entwickeln. Unsere Filme, Bücher, Konzerte, Bilder, Stücke und Tänze regen die Gesellschaft zu neuen Leistungen an. Ob es Höchstleistungen sein werden, ist der Gesellschaft überlassen. Wir aber leisten unseren Beitrag an sie, nehmen nicht nur, sondern geben es ihr hundertfach zurück.

swa/13.12.13

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