Wer profitiert, soll auch Verantwortung übernehmen.

VERRATWORTUNGAn der diesjährigen Generalversammlung meiner Baugenossenschaft, inzwischen meine 5. als Präsident, war alles business as usual. Geschäft um Geschäft wurde kurz erläutert und erhielt anschliessend die Zustimmung durch die Versammlung. Bis zum letzten Traktandum: «Varia» enthält normalerweise kleinere Anträge aus den Reihen der Genossenschaft. Doch dieses Mal gab ich bekannt, dass a) meine Familie aus der Genossenschaft ausziehen wird, weil wir die Vermietungsrichtlinien nicht mehr erfüllen und b) ich das Präsidium im nächsten Jahr – auf Ende der Legislatur – abgeben und aus dem Vorstand ausscheiden werde.

Betroffenes Schweigen, vielleicht ein wenig Ratlosigkeit. Und im nächsten Augenblick stand einigen die Frage ins Gesicht geschrieben, wer denn nun meine Aufgabe übernehmen würde.
Ich erklärte, dass das ganze keine Hexerei sei und ich bei Amtsantritt schliesslich auch kaum Ahnung von der Leitung einer Wohnbaugenossenschaft gehabt, mich aber schnell eingearbeitet habe. Ausserdem seien da noch die anderen Vorstände, die gut zusammenarbeiten und bestimmt mit  Rat und Tat zur Seite stehen würden. Dennoch brachte niemand einen Pieps hervor.

Erst beim anschliessenden Abendessen äusserten sich verschiedene Genossenschafterinnen und Genossenschafter dazu. Die einen bedauerten meinen Entscheid, andere hatten bereits eine Idee, wer denn jetzt Verantwortung übernehmen und sich in den Vorstand wählen lassen könnte. Wobei niemand an sich selber dachte. Darauf angesprochen, winkten die meisten ab.

«Keine Zeit, zu grosse Verantwortung.»

«Ich könnte das nie, da nach vorne stehen.»
«Ich habe keine Ahnung von der Materie.»

Dazu gibt es zwei Dinge zu bemerken. Erstens wohnen all diese Leute in dieser Genossenschaft und profitieren seit Jahren von gutem Wohnraum zu günstigen Preisen. Und zweitens wird Verantwortung entweder überschätzt oder von jenen, die sie im Mund führen (z. B. in der Politik), nicht getragen, wenn es darauf ankommt.

Pflichten und Rechte müssen sich die Waage halten. Verantwortung ist jene Pflicht, die dem Profit gegenübersteht.

Es ist nicht so, dass ich diese Reaktionen, diese Abstinenz nicht verstünde. Sie haben mich nicht überrascht. Ein wenig geärgert haben sie mich aber trotzdem. Wie kann man andere für etwas verantwortlich machen (also z. B. für die Leitung einer Genossenschaft) und dann auch noch davon profitieren wollen, ohne zu merken, dass die Rechnung für irgend jemanden wohl nicht aufgeht? Genau das aber passiert in der Gesellschaft. Übrigens auch das mit dem Verantwortung (und der entsprechenden Machtfülle), die einige solange beanspruchen, bis es darum geht, dafür gerade zu stehen, weil etwas schief gegangen ist.

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