Wie haben mich zwei Jahre Pandemie verändert?

Was mache ich anders als vor der Pandemie? Ich sage bewusst nicht „nach der Pandemie“, denn aus meiner Sicht ist sie noch nicht überstanden. Es wurden lediglich alle Schutzmassnahmen aufgehoben. Die Infektionszahlen sind noch immer hoch. Es werden noch immer Menschen mit oder wegen Corona hospitalisiert. Und die Schicksale, die an Langzeitfolgen leiden, mehren sich, unabhängig davon, ob dies die Krankenkassen wahrhaben wollen oder nicht.

Was also mache ich anders als vor zwei Jahren? Ich trage eine FFP2-Maske. Freiwillig, mehr oder weniger. Nicht, weil ich muss, sondern weil sie ein gewisses Mass an Schutz bietet. Ich fahre erster Klasse, weil es mir in der zweiten viel zu viele Menschen hat. Ich trage die Maske aber auch beim Einkaufen. Ohne mir komisch vorzukommen. Es ist schliesslich meine Gesundheit. Ausserdem: Wer trug nicht schon vor Corona eine Maske? Im übertragenen Sinne. Und sag’ jetzt nicht, das sei etwas anderes, weil die FFP2 einem beim Atmen behindert, sag’ jetzt nicht, die andere Maske täte dies nicht.

Was noch? Ich schaue mir die Menschen um mich herum noch genauer an. Wie verhalten sie sich? Lassen sie den anderen Platz? Nehmen sie die anderen überhaupt wahr? Mir fällt immer wieder auf, wenn Menschen mit besonderem Drang, sich auszubreiten als gäbe es keine anderen, meine Wege kreuzen. Es ist kaum zu fassen, wieviel Raum einige Menschen mit langen Beinen und langen Armen einnehmen, sich am Arsch kratzen und Urlaute von sich geben.

Ich schaue genauer hin und sehe, dass es mit der Disziplin in der Gesellschaft als Ganzes nicht weit her ist. Viele hielten die geltenden Regeln nur dann ein, wenn jemand zugegen war, der etwas zu sagen hatte, wie zum Beispiel Zugschaffner oder Polizistinnen. Gut, ich gebe zu: Ich bin kein Massstab. Ich gehe nicht mal dann bei Rot über die Kreuzung, wenn weit und breit nichts zu sehen ist. Ich habe mir angewöhnt, gesellschaftliche Regeln entweder zu befolgen oder sie neu auszuhandeln. Denn ich bin weder verlogen noch feige.

Viele zeigten, dass sie ihre persönliche Freiheit höher Gewichten als die Unversehrtheit der anderen. Ich kann nicht mal sagen, dass mich das enttäuscht hätte. Ich hatte schon immer diesen Eindruck. Dass man sich aber in diesem Ausmass und lauthals über diese wahnsinnig einschränkenden Einschränkungen beklagen konnte ohne sich dabei blöd vorzukommen, hat mich überrascht. Sind wir nicht fähig zur Selbstreflexion? Denken wir wirklich gründlich nach, bevor wir etwas sagen? Und als letzte Kontrollinstanz: Hören wir weg, wenn wir reden?

Was hat sich noch verändert? Ich halte noch weniger vom Wort „normal“ als ich das eh schon tat. Normal? Das gibt es nicht. Und ist auch kein erstrebenswerter Zustand. Heisst normal etwa: wieder so viel fliegen wie zuvor? Zu noch genauso sinnlosen Business-Meetings bei denen kein wirklicher Mehrwert generiert, sondern bloss Ressourcen verschwendet werden? Oder offensichtlicher: Ist es normal, dass immer irgendwo Krieg herrscht? Ist es normal, dass ich Bürger eines Landes bin, das auch noch Waffen dazu liefert? Ist es normal, sich einen neuen Fernseher zu kaufen, bloss weil man es kann oder weil man die Bilder ein wenig grösser sehen möchte? Ist es normal, ständig in ein Mobiltelefon zu glotzen oder mit jemandem zu reden, der ganz woanders ist, aber jene, die einem währenddessen begegnen, geflissentlich zu ignorieren? Ist es normal, dass die einen als die Verantwortlichen entlöhnt werden, die anderen aber für deren Fehler und Inkompetenz den Kopf hinhalten müssen?

Ist es normal, sich den Zustand von vor der Pandemie sehnlichst wieder herbeizuwünschen? Wenn es das ist, will ich nicht normal sein. Jedenfalls so wenig wie irgend möglich. Zum Glück gelingt mir dies ohne grosse Anstrengungen.

Was ist noch anders? Ich empfinde die anderen Menschen viel stärker als zuvor. Manchmal wird es mir zu viel, obwohl mich nicht mehr Menschen umgeben als früher. Ich geniesse aber die Gesellschaft von Menschen, die ich mag, viel mehr. Ich weiss ihre Gegenwart zu schätzen, nehme sie nicht mehr als selbstverständlich hin. Weil sie es auch nicht sind. Sie sind aussergewöhnlich. Nicht nur im Kontrast zum selbstgewählten Rückzug der letzten zwei Jahre, sondern absolut. Sie sind aussergewöhnlich.

Die letzten zwei Jahre haben mir die Augen geöffnet. Weit geöffnet. Einmal mehr.

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