Normal wie verrückt.

sinnapsenKennt ihr das auch: Die Tage verlaufen eigentlich ganz normal. Abgesehen von gelegentlichen Missverständnissen und Unklarheiten, die Kommunikation nun mal mit sich bringt, dann und wann auch Wortstörungsfindungen, Namen, die nicht einfallen wollen. Aber sonst alles im grünen Bereich.
Dann fällt mir ein Buch in die Hände: «DURCH DEN WIND – Sauvant und Autist», geschrieben von einem Sauvant über Autisten. Ich lese und leide mit ihm, dann muss ich wieder laut lachen. Und unmerklich achte ich mich mehr auf all die Sachen, die wir so alltäglich tun und sagen. Gut, ich mache das vielleicht sowieso etwas mehr als andere. Aber jetzt fühlt es sich an, als wäre mir ein Vergrösserungsglas in die Hände gegeben worden. Und ich starre und starre hindurch und sehe plötzlich groteske Dinge.

Zurück im Alltag stellen Leute Fragen (wahrscheinlich in der Meinung, diese seien sachlich und präzis), Fragen aber mit einer irren Streuung, deren Beantwortung erst möglich ist, nachdem die Fragen decodiert und eine Auslegeordnung davon gemacht ist, wie die Fragen gemeint sein könnten. Das alles immer in einem Kontext, der aber angesichts der wirren Fragen wenig hilft. Im Gegenteil: Gerade weil sie in einem bestimmten Kontext stehen müssten, aber nicht im entferntesten danach riechen, verwirren sie so. Und geben viel mehr Arbeit, als sie eigentlich müssten.
Ein Beispiel: Kommt per Mail die Anfrage zu einem Auftrag wie «Kann ich das so machen?» Hm. Ich könnte antworten: «Wenn es in deiner Kompetenz liegt, liegt die Entscheidung doch bei dir.» Oder: «Wenn du nicht weisst, wozu du fähig bist, woher soll ich das denn wissen?» Oder ganz einfach: «Manchmal kommt die Selbstsicherheit mit einem Münzwurf zurück.»
Selbst im Pendlerzug ist man nicht davor gefeit, dem Unlogischen zu begegnen. Eine Durchsage wie «Dieser Zug hält unplanmässig in XY, weil dort Passagiere aussteigen …» gibt mir noch zu denken, nachdem ich längst an meinem Ziel angekommen bin.

Dann lese ich weiter in diesem übrigens ganz sensationellen, weil völlig unspektakulär und durch und durch verblüffend gedachten Buch, und nach und nach beschleicht mich der Verdacht, dass nicht Josef Schovanec* von der Norm abweicht (eines der Hauptprobleme, die er im Umgang mit seinem Alltag schildert), sondern ich. Und mit mir noch viele mehr, die von sich glauben, normal zu sein.

Hm.

Warum ich glauben will, dass ich normal bin (und andere eventuell etwas weniger), ist mir längst klar: Normal ist richtig. Normal ist realistisch. Die Normalität auf seiner Seite zu wissen, stärkt.

Das Normale ist in unserer Gesellschaft das Richtige, nicht das Verrückte. So wird es jedenfalls überliefert.

Normal zu sein, ist gerade ebenso wichtig, wie zu den Guten zu gehören. Zu den Rechtschaffenen, die alles richtig machen, es zumindest versuchen oder wenigstens so tun als ob.
Womit ich aber begründe, dass ich normal sein soll, ist – wenn ich es von weitem betrachte – völlig an den Haaren herbeigezogen. Und selbstherrlich bis zum Abwinken. Gut, ich hatte schon als kleines Kind die Diskussion mit meinem Vater, als ich merkte, dass ich ebenso lange schlafe (und träume), wie ich wache und ich ihn fragte, woher wir denn wissen, dass wir nicht träumen, wenn wir die Augen offen haben … oder dass ich Jahre später einmal erlebte, wie eine ausgeschaltete Lampe Dunkel spendet.

Aber sonst bin ich ganz normal. Zumindest erscheint mir dies immer öfter die einzig logische Erklärung, warum sich die anderen so komisch benehmen, zu ihrem Nachteil votieren, sich selbst belügen, sich Regeln auferlegen, die sie nicht befolgen, Ziele definieren, die sie a) gar nicht erreichen wollen und darum b) jeden Schritt in diese Richtung sogleich sabotieren. Oder sich mir gegenüber ganz einfach unverständlich ausdrücken.

Da höre ich plötzlich von irgendwo her einen Song von The Doors: «People are strange, when they are strangers …».

*Josef Schovanec «Durch den Wind – Sauvant und Autist»
Verlag sphères, ISBN 978-3-905933-08-6

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